White Paper „Ship Operation 4.0“ will Reedern, Werften und Zulieferern den Einstieg in den digitalen Schiffsbetrieb erleichtern.">
Sie sind Mitautor des White Papers „Ship Operation 4.0“, das in der maritimen Branche derzeit viel Beachtung findet. Welches Ziel steckt dahinter?
Lutz Kretschmann: Die Kernfrage für uns war, wie die maritime Industrie die neuen Möglichkeiten von Industrie 4.0 für den operativen Schiffsbetrieb nutzen kann. Es geht also um Daten aus der Betriebsphase eines Schiffes. Mit dem White Paper beschreiben wir, wie man auf Grundlage dieser Daten den Schiffsbetrieb effizienter machen kann. Dafür sind fünf Gestaltungsfelder aufgezeigt, in denen aus unserer Sicht die größten Chancen für die Akteure der maritimen Branche bestehen, um das Thema „Ship Operation 4.0“ aktiv anzugehen: Dies sind Navigation und Schiffsführung, der Anlagenbetrieb an Bord, neue Konzepte bei der Instandhaltung, Administrations- und Managementprozess sowie ein übergreifendes Schiffs- und Flottenmanagement.
Welche Rolle spielt das Fraunhofer CML bei der Digitalisierung der Branche?
Kretschmann: Wir sind ein Forschungsdienstleister, der die Unternehmen der maritimen Wirtschaft unterstützt, neue Lösungen zu entwickeln und zu nutzen, zum Beispiel bei der Anwendung von Schlüsseltechnologien wie dem maschinellen Lernen und der künstlichen Intelligenz. Kurz: Wir zeigen die Chancen der Digitalisierung auf und wirken bei der Umsetzung mit.
Sie betonen, Daten bekommen erst dann einen Wert, wenn die geeigneten Informationen aus ihnen gezogen werden. Erklären Sie uns diese These.
Kretschmann: Daten allein machen uns nicht schlauer. Wir müssen daraus Informationen ableiten, die dann Grundlage für kluge Entscheidungen sind. Bei nahezu allen datenbasierten Fragestellungen gilt, dass die Lösungsfindung umso besser funktioniert, je mehr Daten vorliegen. Sich die Daten von 100 Schiffen anzusehen, bringt tiefere Einsichten, als dies bei nur zehn Schiffen zu tun. Wir haben heute eine Vielzahl an Methoden und Algorithmen zur Hand, um in den Daten Muster zu erkennen – und das funktioniert einfach besser, wenn mehr unterschiedliche Beispiele vorhanden sind.
Welche datenbasierten Themen versprechen im Schiffsbetrieb die größten Einsparungen?
Kretschmann: Das lässt sich schwer auf einzelne Aspekte reduzieren. Wir beleuchten im White Paper Möglichkeiten, bestimmte Betriebszustände zu verbessern – bis zur kompletten Flottenoptimierung. Es geht nicht um den Treibstoffverbrauch allein, sondern darum, den Betrieb insgesamt wirtschaftlicher und auch sicherer zu machen.
Wie sieht die Situation bei älteren Schiffen aus. Lässt sich auch der Schiffsbestand digital ertüchtigen?
Kretschmann: Es gibt Projekte, in denen Sensoren nachgerüstet werden, um die Schiffe zu modernisieren oder digital zu ertüchtigen. Aber gerade bei Schiffen, die bereits 20 oder 25 Jahre alt sind, geht es in erster Linie um handfeste Lösungen, um die Schiffe mit dem, was verfügbar ist, effizienter zu betreiben. Ich denke hier zum Beispiel an das Detektieren von Zustandsänderungen im Sinne eines Condition Monitoring. Damit lassen sich dann Technikereinsätze geeignet planen und steuern – bis hin zur bedarfsgerechten Bevorratung von Ersatzteilen.
Wer muss die Informationen erhalten, um schlaue Entscheidungen zu treffen?
Kretschmann: Diese Frage ist in der maritimen Branche bisher noch nicht abschließend geklärt. Zunächst ist da das Schiff, das Daten erzeugt – und die liegen bei demjenigen, der das Schiff betreibt. Jetzt stellt sich natürlich die Frage: Wer müsste die Daten erhalten und wer kann mit den darin verborgenen Informationen überhaupt etwas anfangen? Es gibt Informationen, die für den unmittelbaren Schiffsbetrieb notwendig sind und folglich an Bord zur Verfügung stehen müssen. Für langfristige Analysen und Verbesserungen sind Fachleute an Land gefragt. Leider hat der Personalabbau in vielen Reedereien dazu geführt, dass es immer weniger spezialisierte Mitarbeiter für solche Aufgaben gibt.
Schadet sich die Branche selbst, wenn sie gerade in einem Bereich einspart, der einen großen Beitrag zu Kostensenkungen leisten kann?
Kretschmann: Die erzielbaren Raten im Transportmarkt in den letzten Jahren reichen teilweise kaum aus, um die Kosten zu decken. In einer solchen Situation darüber nachzudenken, beim Personal zu sparen, ist zumindest nachvollziehbar. Gleichzeitig ist es eine berechtigte Frage, inwiefern damit nicht gleichzeitig die Grundlage wegfällt, um etwa die Chancen der Digitalisierung zu ergreifen. Denn hier ist meine Meinung ganz klar: Der Mensch wird in Zeiten von künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen weiterhin eine unersetzliche Rolle spielen – auch wenn sich diese in vielen Fällen ändern kann.
Was erwarten Sie sich im Hinblick auf „Ship Operation 4.0“ von den Unternehmen?
Kretschmann: Sie sollten sich mehr öffnen, mutig sein und die Voraussetzungen schaffen, um neue digitale Wege zu gehen. Es geht jetzt nicht darum, sich blind in ein Abenteuer zu stürzen. Aber aus meiner Wahrnehmung dominiert dann doch oft eine abwartende Haltung im deutschen maritimen Sektor. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass vor allen in China, Singapur und den USA viele digitale Logistikinnovationen entstehen. Hier wünsche ich mir einfach noch mehr Bereitschaft, um in einem unternehmensübergreifenden Kontext und mit ganz unterschiedlichen Akteuren die Chancen der Digitalisierung für die deutsche maritime Branche zu nutzen und so natürlich auch den maritimen Standort Deutschland im internationalen Wettbewerb zu stärken.
Text: Steffen Friedrich, Global Key Account Manager Marine & Offshore bei WAGO Kontakttechnik GmbH & Co. KG
Fotos: Thorsten Sienk
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